Die Welt im Netz: Mongolei

Nomaden brauchen keinen Internet-Anschluss

 
 
  Erschienen in smile, dem "Schweizer Magazin über Internet, Lifestyle und Entertainment", Heft 6/99.  
 
 
  In der Mongolei leben auf drei Quadratkilometern nur zwei Menschen. Insgesamt dürften rund 1500 Mongolen Zugang zum Internet haben. Kein Zweifel: In der Steppe ist das Internet weit.

Sanfte Hügel so weit das Auge reicht. Ein Fluss schlängelt sich durch die unendliche grüne Weite. Am Wasser stehen mehrere Jurten. Einige Reiter treiben Pferde und Yaks vor sich her. So ähnlich mag es auch schon vor 700 Jahren in der Mongolei ausgesehen haben, zu Zeiten Dschinghis Khans.

Computer? Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt heute noch nomadisch, zieht mit Pferden, Ochsen und Yaks von Weideplatz zu Weideplatz. Singende Telefondrähte in der Steppe? Die Regierung gibt die Zahl der Telefonanschlüsse mit 113.100 an. Das sind 4 Anschlüsse auf 100 Einwohner; in der Hauptstadt Ulan Bator, wo ein Viertel der Bevölkerung des Landes lebt, ist die Verteilung etwas besser: Hier teilen sich 10 Einwohner einen Telefonanschluss. Zur Zeit gibt es nur eine Telefongesellschaft, die Mongolian Telecommunications Corporation (MTC). Deren Monopol wurde zwar zu Beginn diesen Jahres aufgehoben, doch Konkurrenz gibt es, wenn überhaupt, nur in lokalen Märkten. Die Verbindungen über Land und ins Ausland bleiben voraussichtlich in der Hand der MTC.

Dschinghis Khan schuf im 13. Jahrhundert das grösste zusammenhängende Reich der Welt. Heute ist das zentralasiatische Land eines der am wenigsten dicht bevölkerten Länder der Erde: Auf der Fläche von 1,56 Millionen Quadratkilometern leben nur gerade 2,5 Millionen Menschen - das sind etwa 1,6 Menschen pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es 172 pro Quadratkilometer, im Kanton Zürich sind es über 600.

Die Kehrseite der unberührten Natur: Die Mongolei ist ein Entwicklungsland; eine industrielle Infrastruktur existiert kaum. Es gibt nur wenige asphaltierte Strassen; die meisten Verbindungswege sind unbefestigte Pisten, die im kurzen mongolischen Sommer im Schlamm versinken. Eine Eisenbahnlinie durchquert das Land, von der Transsibirischen Eisenbahn nach Beijing, mit einer kurzen Abzweigung in eine der wenigen Industriestädte.

Internet? Das Land wurde 1996 mit einem einzigen Server ans Internet angeschlossen. wer sich Rechner und Internetanschluss leisten kann, muss in schon Ulan Bator, Erdenet oder Darchan wohnen, um surfen zu können. Nur diese drei Städte verfügen über eigene Netzknoten. Entsprechend gering ist die Zahl der Netizens im Land des Dschinghis Khan. Der grösste Provider der Mongolei, Datacom (www.datacom.mn/), hat etwa 2000 Kunden, die Konkurrenz, Bodi Computer, 200. Micom, ein Ableger von MTC, bietet seit Anfang diesen Jahres Internet-Zugang an. Allerdings weist U. Odgerel vom Ministerium für Infrastruktur-Entwicklung (www.pmis.gov.mn/mid/bayar.htm) darauf hin, dass die meisten Internet-Nutzer in der Mongolei lebende Ausländer seien. Rogier Gruys, der für das Asia-Pacific Development Information Programme (APDIP, eine UN-Initiative) in Ulan Bator gearbeitet hat, schätzt die Zahl der mongolischen Internauten auf 1500.

500 Mongolen und ein Handy

Im Vergleich dazu ist das Mobilfunknetz ist geradezu dicht geknüpft. Drahtlos telephonieren können die 5.300 Kunden des derzeit einzigen Provider, MobiCom, in vier Städten: Ulan Bator, Darchan, Suchbaatar und Erdenet. Statistisch kommen auf ein Handy derzeit knapp 500 Mongolen. Ab Juli sind zwei weitere Mobilfunk-Anbieter in der Mongolei zugelassen; damit dürfte sich das Verhältnis zu Gunsten der Handays verschieben.

Die Mongolei ist ein junges Land: 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 30, 40 Prozent gar unter 14 Jahren. Und mögen sie auch in Ulan Bator, der kältesten Hauptstadt der Welt, leben, sie gehören zur MTV-Generation. Sie treffen sich auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt, dem Suchbaatar-Platz, zum Skateboardfahren oder zum Inline Skaten. Sie lieben HipHop und andere westliche Musik - und sie sind wissbegierig.

Politisch ist die Mongolei zwar seit 1990 unabhängig von Russland, wirtschaftlich hingegen nicht. Als im vergangenen Jahr die russischen Transportarbeiter streikten, wurden in der Mongolei die Treibstoffvorräte knapp. Doch dank des sowjetischen Einflusses hat das Land eine Alphabetisierungsrate wie die Industrienationen. Weit über 90 Prozent der Bevölkerung kann lesen und schreiben - wenn auch häufig nicht ihre eigene Schrift: Die mongolische Schrift, die ein wenig aussieht wie um 90 Grad gedrehtes Arabisch, wurde von den Statthaltern Moskaus verboten und durch Kyrillisch ersetzt. "Die ältere Generation (etwa über 25 Jahre) hat Schwierigkeiten, die alte Schrift zu lesen und zu schreiben. Lesen können sie die meisten, aber Schreiben bereitet den älteren Generationen Schwierigkeiten. Die junge Generation unter 20 lernt in der Schule, die traditionelle Schrift zu schreiben", erzählt Atsushi Yamanaka, ein Japaner in den Diensten des United Nations Development Project (UNDP - www.un-mongolia.mn/undp/) in Ulan Bator.

Sie interessiere sich für Politik, schaue viel Fernsehen und lese die Zeitung, schreibt eine 15jährige in einem Aufsatz über "Die Jugend im 21. Jahrhundert". Eine mongolische Jugendzeitung hatte ihre Leser aufgefordert, sich zu diesem Thema zu äussern, und Ausschnitte im Onlinemagazin "Ger" veröffentlicht (www.un-mongolia.mn/ger-mag/ger-4.htm). Laut Yamanaka ist die 15 jährige kein Einzelfall: "Es gibt ein grosses Interesse an Ausbildung in diesem Land, deshalb ist das Internet sehr populär bei den Studenten in Ulan Bator."

Sehr populär - das ist relativ. Nach einer aktuellen Umfrage gibt es im Land etwa 19.000 Computer Sie sind sehr teuer, für private Nutzer kaum erschwinglich. Ein Pentium Celeron 333 mit 64 MB RAM und einem 15 Zoll Monitor kostet 2700 bis 2800 Dollar, etwa 2,4 Millionen Tugrit. Ein Regierungsangestellter verdient im Monat etwa 40.000 Tugrit (knapp 66 Schweizer Franken). Soll der Computer ans Internet angeschlossen werden, kommen noch um die 2500 Tugrit (etwa 4 Franken) im Monat hinzu.

70 Webseiten nach einem Jahr

Die erste mongolische Website ging in dem Jahr online, in dem das Land an das Internet angeschlossen wurde; im Jahr darauf waren es immerhin schon 70. Doch es mangelt an Webcontent in mongolischer Sprache. Da nur sehr wenige Einheimische Netzzugang haben, sind die meisten Sites in Englisch - oder in Deutsch, wie die Khanbräu-Site (www.mol.mn/khanbrau/1_home.html). Die Brauerei, vom ehemaligen deutschen Aussenminister Klaus Kinkel eingeweiht, braut in der mongolischen Hauptstadt Bier nach dem deutschen Reinheitsgebot. Khanbräu hat sogar eine Seite mit Stellenangeboten; die nehmen sich allerdings eher aus wie Werbung für bajuwarische Gemütlichkeit in der zentralasiatischen Steppe. Wer in der Mongolei nicht auf Biergarten, Brathähnchen und seine Mass verzichten möchte, ist hier genau richtig.

Neben vielen Firmenseiten listet die Mongolia Webdirectory (www.mol.mn/english/webdirectory.html) vor allem offizielle Sites von der Regierung oder internationalen Organisationen; fast alle sind ausgerichtet auf die Darstellung des Landes nach aussen. Im Zuge eines 1997 von der Regierung initiierten Programmes lernten Angehörige der Ministerien den Umgang mit Computern und Webpublishing. Das Resultat ist auf der Regierungssite zu bewundern (www.pmis.gov.mn - Vorsicht, lange Ladezeiten!), wo die meisten Ministerien eigene Webauftritte unterhalten. Allerdings sucht man auch hier oft vergeblich nach einer Version in der Landessprache.

Private Homepages wie die von Tulga sind die Ausnahme. Tulga betreibt im Childweb des Open Web Center, einem Host für Nicht-Regierungs-Organisationen, eine englischsprachige Website über die mongolische Eisenbahn (www.owc.org.mn/im/childweb/tulga.htm). Zwar habe die Eisenbahn seit jeher eine "vitale Rolle in der Entwicklung der Wirtschaft des Landes" gespielt, heisst auf einer Seite mit einem Foto der mongolischen Eisenbahn. Doch träumt der Autor offensichtlich von einer anderen Zukunft: Die nachfolgenden Seiten zieren Bilder moderner Hochgeschwindigkeitszüge. Die wenigen anderen Sites im Childweb, die meisten in Mongolisch, linken auf Angebote, die sich auch hierzulande bei Jugendlichen grosser Beliebtheit erfreuen dürften, wie eine Backstreet-Boys-Site oder die der NBA.

Selbst Cybercafés sind in der Mongolei rar gesät. Die meisten verdienen kaum ihren Namen. "Sie servieren dort weder Speisen noch Getränke. Sie sind nur für die Internet- und Computernutzung da - inklusive dem für unser Projekt und jenem, das wir demnächst in unserem Büro eröffnen", erzählt UNDP-Mitarbeiter Yamanaka.

Dabei fehlt es den Nomaden nicht an Neugier auf moderne Technik. Doch in der Steppe ist das Internet weit weg. Um der Bevölkerung in der Provinz dennoch moderne Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, haben Regierung und UNO das Projekt "Information Communication Technology for Sustainable Human Development" (ICT for SHD) gegründet, an dem sich ausserdem die von George Soros ins Leben gerufene Stiftung "Mongolian Foundation for an Open Society" (MFOS) beteiligt. Unter der Parole "Internet Means Information Power" richtet ICT for SHD sogenannte "Citizen Information Service Centres" (CISC) ein. Hier können die Besucher in Büchern oder Zeitungen schmökern, aber auch den Umgang mit dem Computer lernen.

Auf dem Weg dazu, digitale Nomaden zu werden

Um den Bewohnern der entlegenen Aimags (Verwaltungsbezirke, insgesamt 18) dennoch multimediale Inhalte zukommen zu lassen, bannt die UNDP Onlinecontent auf Offlinemedien: Auf bisher zwei CD-ROMs wurden die Webseiten der Regierung, der UNDP und der Unesco sowie, anlässlich des 50. Geburtstages, die Erklärung der Menschenrechte gebrannt. "Wir dachten, es sei wirklich wichtig, dass es diese Inhalte auf Mongolisch gibt, und wir bemühen uns, in dieser Richtung weiterzuarbeiten", erzählt Yamanaka. Alle zwei Monate will die UNDP eine neue eigene CD-ROM herausgeben. Daneben beliefert man die CISCs mit Edutainment- und Lern-CD-ROMs. Vor allem Lernsoftware für Englisch und Deutsch erfreue sich bei den Mongolen grosser Beliebtheit.

Schliesslich lernen die Mongolen hier nicht nur den Umgang mit dem Computer und dem Internet. "Ein Zweck der CISCs ist, lokale Webseiten in Mongolisch zu erstellen", so U. Odgerel. Der Ministeriumsmitarbeiter betont, seine Regierung begrüsse und fördere ausdrücklich die Webnutzung. Eine Regulierung der abrufbaren Inhalte oder gar eine Zensur gebe es nicht.

Yamanaka glaubt an die Zukunft: "Aber wer weiss: Die Mongolei könnte wie Bangalore in Indien werden - und dann ist der Tag nicht mehr fern, an dem von der Mongolei als der digitalen Steppe die Rede ist oder von den Mongolen als den digitalen Nomaden."

 
 
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  © 1999 Werner Pluta, smile; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 06/99 wp