Schmerz und Erinnerung

Zu Arnold Stadlers Roman "Mein Hund, meine Sau, mein Leben"

 
 
  Erschienen in der Berliner Zeitung am 17./ 18. Dezember 1994. Mehr über Heidegger findet sich in einem Aufsatz über ihn und Sartre sowie in der Rezension von Safranskis Heidegger-Biographie.  
 
 
  1934 erschien ein Aufsatz Martin Heideggers mit dem Titel "Schöpferische Landschaft: Warum bleiben wir in der Provinz?", in dem der Philosoph begründete, weshalb er einen Ruf an die Universität in Berlin ablehnte: "Ich komme dabei zu meinem alten Freund, einem 75jährigen Bauern. Er hat von dem Berliner Ruf in der Zeitung gelesen. Was wird er sagen? Er schiebt den sicheren Blick seiner klaren Augen in den meinen, hält den Mund straff geschlossen, legt mir seine treu-bedächtige Hand auf die Schulter und - schüttelt kaum merklich den Kopf. Das will sagen: unerbittlich Nein!"

Arnold Stadler, wie der Philosoph ebenfalls in Meßkirch auf der Schwäbischen Alb geboren, entwirft 60 Jahre später ein ganz anderes Bild der Provinz. Bei Stadler ist der Schein des heilen Landlebens, das Heidegger politisch ausschlachtet, nur noch mühsam aufrechterhalten. Das beim sonntäglichen Familienausflug von den Kindern angestimmte "Wir wollen niemals auseinandergehen" wird unterbrochen durch Aufforderungen, das Maul zu halten, und von Drohungen.

So flieht der Ich-Erzähler aus der Provinz. Zum Theologiestudium nach Rom. Doch sich entkommt er nicht. "Wir tragen uns mit uns herum." Uns und unsere Erinnerungen. Erinnerungen an abhanden gekommene Begleiter. Zuerst Caro, sein Hund, und seine Katze Gigi, vom Auto überfahren, dann Frederic, seine Sau, geschlachtet und dem ahnungslosen Kind als Wurst vorgesetzt - "Damals muß ich den Verstand verloren haben, denn unmittelbar darauf begann ich zu dichten." Später die Freunde - doch: "Lucy hat recht: Meßkirch hat niemals eine Kultur der Freundschaft entwickelt. Ja ganz im Gegenteil, schon das Wort hatte, in Meßkirch in dem Mund genommen, etwas Zweideutiges, wenn nicht gar Eindeutiges, Unappetitliches. ... Wir mußten wie in Vorzeiten mein Kamerad sagen." Was bleibt, ist nur sein Leben - die Erinnerung und der Schmerz.

Als er, nach geplatzter Priesterlaufbahn, im "Großstädtchen" Freiburg landet, findet er folgerichtig eine Anstellung als Grabredner. Erinnern als Beruf. Im Roman ist auch nie von sich erinnern, sondern immer nur von etwas erinnern die Rede ist. Letzlich wird das literarische Ich endgültig abgeschnitten von der materiellen Grundlage seiner Erinnerungen: Der Hof, Sitz der Dynastie, mit deren Vorgeschichte das Buch beginnt, Grabstätte des ersten toten Freundes, wird versteigert. Damit ist die letzte Verbindung zur Provinz gekappt.

 
 
  Arnold Stadler: Mein Hund, meine Sau, mein Leben. Residenz Verlag, Salzburg 1994. 152 S.; 39 Mark.  
 
 

  © 1994 Werner Pluta, Berliner Zeitung; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp