Das Ende der Fragen

Die Ausstellung "Kunst und Macht im Europa der Diktaturen 1930-1945" im Deutschen Historischen Museum in Berlin

 
 
  Ein Fall von "bestellt und vergessen". Ich habe den Text über die Ausstellung "Kunst und Macht im Europa der Diktaturen 1930-1945" dann noch einmal persönlich geliefert und erhielt einige Tage - auf Nachfrage - eine abschlägige Antwort. Die Redakteurin machte nicht den Eindruck, daß sie sich nach dem Wochenende noch an den Autor erinnerte, der drei Tage zuvor mit ihr gesprochen und ihr den Text überreicht hatte. Den Text schien sie nicht gelesen zu haben. Mit der Redakteurin, die per Fax den Text bestellt hatte, habe ich kein Wort wechseln können. Als Honorar beim Abdruck hätten übrigens 50 Dollar gewunken; Ausfall gab es keinen.  
 
 
  "Diese Worte, sagte er, die Worte der Diffamierung, vor denen wir uns hier, im Umkreis des Raubmords, die Ohren zuhalten, sollen wir sie hinnehmen, wenn sie von der Seite der unseren kommen, und das künstlerische Forschen, sollen wir es mit Tabuvorstellungen, mit atavistischen und irrationalen Vorzeichen versehen und uns einreden lassen, dies alles sei berechtigt, sinnvoll, nur weil wir dem Land nahestehn, in dem solche Befehle ausgegeben werden, weil nichts dieses Land gefährden darf, weil es erhalten bleiben muß, verteidigt werden muß, nicht nur durch unser Handeln, sondern auch durch unaufhörliches Denken. Wie konnte es geschehen, fragte er, daß solche Entstellung, solche Verachtung sich einmischte in das, was für uns Klarheit war, und wie sollen wir die Kraft aufbringen, weiterhin einzutreten für das, was von Vergiftung ergriffen ist", heißt es im ersten Teil von Peter Weiss' Mammutwerk "Die Ästhetik des Widerstandes", angesiedelt im Jahre 1936.

1936 entledigte sich Stalin in Moskau gerade seiner vermeintlichen Gegner. Unterdessen zelebrierten die Nazis in Berlin die Olympiade als »Fest der Völker«. In Spanien begannen die Falangen einen blutigen Bürgerkrieg gegen die republikanische Regierung. Ein Jahr später fand in Paris die Weltausstellung statt, auf der sich die unterschiedlichen Systeme in all ihrem Pomp inszenierten.

Mit der Pariser Weltausstellung beginnt auch die Berliner Ausstellung "Kunst und Macht im Europa der Diktaturen 1930-1945". Ein Photo verdeutlicht die Zeichen der Zeit: Zwei Pavillons überragen alle anderen zwischen Seineufer und dem Palais de Tokyo. Beide gekrönt mit einer Monumentalstatue, der Reichsadler auf dem deutschen, Bäuerin und Arbeiter auf dem sowjetischen. Da bleibt kein Zweifel, wer zu jener Zeit den Ton angab in der Welt, stilistisch und politisch. Aber das war damals fast das gleiche: Ästhetik und Politik verschmolzen. Die Nation wurde zum Gesamtkunstwerk. Abgerundet wird das Photo durch eine neoklassizistische Reiterstatue in Imperatorenpose, "Der Geist des faschistischen Italiens", im Vordergrund.

Verschiedene Systeme, dieselbe Sprache, dieselben "Worte der Diffamierung", der "Umkreis des Raubmords" hier wie dort. Schnell hatten die Diktatoren Schluß gemacht mit dem "künstlerischen Forschen". Gerade in Sowjetunion. Mit der Tschistka, den politischen Säuberungen wurde auch mit den modernistischen Tendenzen in der Kunst Schluß gemacht, die in den frühen Jahren nicht nur die Kunstszene der Sowjetunion bestimmt hatten, sondern in ganz Europa stilbildend wirkten. Doch im im Bild der heilen stalinistischen Sowjetwelt war kein Platz für Suprematismus und Konstruktivismus. Es herrschten "Tabuvorstellungen, mit atavistischen und irrationalen Vorzeichen".

Welch ein Unterschied dagegen der spanische Pavillon: Den klaren, geraden, eine heile Welt suggerierenden Formen der Diktaturen setzten die republikanischen Spanier die zerfließenden Formen auf den Bildern Mirós und Picassos entgegen. Im bürgerkriegszerrütteten Spanien war kein Platz für klare, gerade Formen. "Aidez l'Espagne" prangt auf einem bunten Briefmarkenentwurf Mirós, und Picassos "Mutter mit totem Kind" oder sein Wandbild "Guernica" lassen keinen Zweifel daran, auf welchen Abgrund sich die Welt zu bewegte. Doch das andere Spanien, das diktatorische, das der geraden Formen, war auch schon vertreten, mit dem etwas groß geratenen (649 x 359 cm) "Die heilige Theresa, Botschafterin der göttlichen Liebe zu Spanien, bringt unserem Herrn die spanischen Märtyrer von 1936 dar" - ausgestellt nebenan, im Pavillon des Vatikans. Zwei Jahre später siegten die Faschisten. Dann setzten sich auch in Spanien die monumentalen Formen durch. Beispielsweise das mehrere hundert Meter hohe Kreuz und die Basilika im Tal der Gefallenen.

Einzig im faschistischen Italien wurde mit dem Modernismus nicht so herrisch verfahren. Während in der Sowjetunion und im nationalsozialistischen Deutschland die reiche Formensprache der Kunst auf platten Heroismus reduziert wurde, blühte der Modernismus in Italien weiter, von offizieller Seite noch gefördert.

So schrieb der Journalist Giuseppe Pagano anläßlich des Wettbewerbs für den Bau des Palazzo del Littorio: "Es wird ein großer Kampf werden. Aufs neue werden sich zwei Welten gegenüberstehen: auf der einen Seite eine statische, in Formalismus und Rhetorik verliebte Welt, die sich selbst als Sachwalterin der »Romanitas«, der obersten Gebote des Geistes und der italienischen Tradition versteht, und auf der anderen die Welt des Lebens und des Fortschritts, die ihre Kraft aus der rohen, ewigen Reinheit des Einfachen schöpft und die versuchen wird, dem Ideal eines modernen Italiens mit den Mitteln heutiger Proportionen und Rhythmen Ausdruck zu verleihen." Zu jener Zeit, 1934, stellte sich Mussolini selbst noch hinter die modernistischen Erneuerer der Kultur - vielleicht, weil der Cheffuturist Filippo Tommaso Marinetti, Speerspitze moderner italienischer Kunst, ein persönlicher Freund war. Marinetti konnte sogar verhindern, daß Streicher und Rosenberg ihre Vorstellungen einer faschistischen Kulturpolitik mit den bekannten antisemitischen Diffamierungen in Italien durchsetzten.

In Deutschland und der Sowjetunion hingegen hatte der künstlerische Modernismus keine Überlebenschance. Jeglicher Versuch, außerhalb der staatlich gesetzten künstlerischen Richtlinien zu arbeiten, wurde mindestens mit Arbeitsverbot geahndet. In den Diktaturen wurde rasch Schluß gemacht mit dem Fragen, das die Kunst der Moderne auszeichnet, dem Fragen nach der condition humaine, nach dem menschlichen Leiden und dessen sozialen Hintergrund. Kunst und Macht - das bedeutet: Kunst hört auf, zu fragen. Kunst im Dienst eines totalitären Systems darf keine Fragen stellen, sie muß Antworten liefern - Antworten auf jene Fragen, die sie zuvor gestellt hat. Stand vorher der Einzelne, sein Leiden im Mittelpunkt der Betrachtung, tritt er nun zurück, geht auf in der neuen großen Einheit. Das reflektiert auch die Kunst: Es werden keine Individuen mehr dargestellt, nur noch Typen. Der Typus des Arbeiters, der Typus des Bauern, der Typus der Frau, des Mannes, des Kindes. Die Ruderer in Albert Janeschs Gemälde "Wassersport" oder der klinische "Weibliche Akt" Adolf Zieglers. Eine nackter Körper, lange Haare und zwei Arme, Beine und Brüste machen noch keine Frau. In der Entindividualisierung ist dieser Akt fast obszöner als eine pornographische Darstellung.

Freie Kunst oder Kunst im Dienste der Macht, Fragen stellen oder Antworten liefern - der Unterschied wird vor allem am Ende der Ausstellung, in dem Abschnitt über deutsche Kunst deutlich. In zwei parallelen Gängen sind die Werke offizieller deutscher Kunst und verfemter Künstler gegeneinander gestellt. Auf der einen Seite Bombast, Heroismus, Monumentalität, auf der anderen Leiden, Ratlosigkeit, Individualität. Und schließlich das, was der propagandistisch-protzigen Kunst völlig abgeht: Humor. Dabei ist es so einfach, der Macht ins Gesicht zu lachen. Nichts reizt mehr zum Lachen als Heroismus. Mit einigen Füllerstrichen hat Willi Baumeister auf einer Photographie das Genital »Des Rächers« - ein Monumentalrelief Arno Brekers - zu einem lustigen Kopf umfunktioniert. Heroismus bloßgestellt.

Manche begriffen nach dem Untergang Deutschlands im Bombenhagel, daß sie Anteil daran gehabt hatten. Andere nicht. Arno Breker zum Beispiel, der Ulrike Meyfarth, Olympiasiegerin im Hochsprung 1972, im gleichen Stil darstellte, wie seine Statuen der NS-Zeit; lediglich die Dimensionen veränderten sich etwas. Welch ein Unterschied dazu Georg Kolbe: 1937 stand seine Großplastik "Verkündung" noch im deutschen Pavillon in Paris. 1945 schuf er eine etwa 30 cm hohe Bronzeplastik mit dem Titel "Der Befreite": ein kauernder Mensch, das Gesicht in den Händen verborgen.

 
 
  "Kunst und Macht im Europa der Diktaturen 1930 bis 1945." Eine Ausstellung des Europarats, organisiert von der Hayward Gallery, London, in Zusammenarbeit mit dem Centre de Cultura Contemporania de Barcelona und dem Deutschen Historischen Museum. Im Deutschen Historischen Museum, Berlin-Mitte, Unter dem Linden 2. Bis 20. August 1996. Öffnungszeiten täglich außer Mittwoch, 10 - 20 Uhr. Eintritt frei. Katalog 360 Seiten, 48 D-Mark.  
 
 

  © 1996 Werner Pluta; Mail: , Web: http://www.wpluta.de; 04/99 wp